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Freitag, 9. März 2018

Nachwort zum Schlusswort...

...das eigentlich ein Vorwort war:

n3po                                                                           aus Wildwuchs in der Jugendhilfe

Der von so manchen Jugendämtern fröhlich aufgegriffene Vorschlag der Sozialraumbudgets, der den Ge- danken der Neuordnung der Sozialarbeit nach Feld-Gesichtspunkten auf lange Zeit nachhaltig kompromit- tiert haben dürfte, ging ja, das muss man gerechterweise sagen, auf ein ehrenwertes fachliches Motiv zu- rück: Es war die Sorge um den Erhalt der professionellen Standards zu Zeiten knapper Kassen, und der Hintergrund war eben - der besagte Wildwuchs, der seit Jahrzehnten auch bei uns, sicher viel stärker noch als in Österreich, um sich gegriffen hat. 

Den Anfang machten die Antiautoritären Kinderläden ab Mitte der sechziger Jahre, da war Pioniergeist und Idealismus, und es brauchte einige Zeit und Agitation, bis überhaupt die ersten öffentlichen Groschen locker gemacht werden konnten. Es war immer noch viel Abenteuer dabei, und für Leute, die ne ruhige Kugel schieben wollten, war es nix. - Ich kürze ab: Für die wurde es was in den siebziger Jahren, als die Fördermittel sprudelten, weil Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit in den oberen Etagen der Verwaltung als frischer Wind wahrgenommen wurden und weil... man bemerkte, dass privates Engagement die öffentlichen Haushalte entlasten kann. Und so kam es, dass auch bei uns - will mir da einer ehrlichen Herzens widersprechen? - Leute "mit falscher Motivation" angelockt wurden. Sicher waren die Stellen, solange man sich bei den internen Intrigen auf der richtigen Seite hielt, fast so wie im öffentlichen Dienst und die Kugeln womöglich noch ruhiger, und vor allem: Da war keiner, der einem fachlich auf die Finger sah.

Das ist aber im privaten wie im öffentlichen Bereich das größte Problem. Professionell störend sind die Ämter in der Kinder- und Jugendhilfe nicht, weil sie kontrollieren, sondern weil sie professionell gar nicht kontrollieren können, sondern sich mit pauschaler präventiver Schikane begnügen müssen; und im Einzelfall dann "auch mal ein Auge zudrücken"! Das Problem ist für die Praktiker nicht, wenn es ihnen auch so vorkommen mag, dass es zuviel Kontrolle gäbe, sondern dass es zuwenig fachliche Kontrolle gibt.

Ins Auge springt das, seit die Fördermittel immer spärlicher tröpfeln. Wie im Artikel nur schamhaft angedeutet, setzte innerhalb des Wildwuchses eine Preiskonkurrenz ein, und die Ämter neigten unterm sanften Druck der Stadtkämmerer dazu, die billigsten Angebote vorzuziehen. Dagegen, wurde mir damals versichert, sollten die Sozialraumbudgets ein Bollwerk schaffen. Es sollte die Möglichkeit geschaffen werden, die - oben so genannten - Schwarzen Schafe auszusondern.

Dass das wünschenswert wäre  - wer, der die Branche kennt, würde das bestreiten? Dass dafür die Jugendämter die am besten geeignete Instanz wäre - wer, der die Branche kennt, kann auf diese Schnapsidee kommen!

* 

Der Wildwuchs hat das öffentliche Standing der Sozialpädagogik bis auf die Knochen ruiniert. Als in den sechziger Jahren die Pioniere daran gingen, dieses Berufsbild überhaupt erst zu schaffen, da war die allgemeine Reaktion von Müller und Meier: Hut ab, die traun sich was. Heute tut ein Sozialpädagoge gut daran, in der Nachbarschaft und im Bekanntenkreis seinen Beruf zu verschweigen, weil sonst alle denken: Tagedieb mit großem Maul.

Das ist wie mit dem schlechten Ruf des Öffentlichen Dienstes: Es ist gar nicht nötig und es ist ja wahr-  scheinlich gar nicht mal der Fall, dass "alle so sind". Es kommt drauf an, wer in der Behörde oder im Milieu den Ton angibt. Da geht es nicht nur darum, wer öfter und wer seltener, wer lauter oder leiser das Wort ergreift, sondern wie das Umfeld resonniert, und da mag das Ganze wirklich mehr oder ganz was anderes sein als die Summe seiner Teile.

Es hat also ein bisschen was für sich, wenn jeder einzelne - in der Behörde oder im Wildwuchs der Praktiker - sagt: An mir liegt's nicht! Was hab ich nicht alles versucht, aber man läuft ja überall gegen Wattewände. Man kann gar nix machen. - Eine der Leitenden Beamtinnen, die seinerzeit mein Kinderhaus in die Pleite getrieben haben, sagte mir damals: "Herr E., Sie wissen doch, wie das System funktioniert!" Ich habe geantwortet: In all den Jahren ist mir hier auf Ihren Fluren ein System nie begegnet. Ich habe immer nur einzelne Beamte getroffen, die dieses getan und jenes nicht getan haben. Es gibt gar kein System.

Wenn sie nämlich alle sagen: An mir liegt's nicht, dass es so ist, haben sie nur zum Teil Recht. Zum anderen, wichtigeren Teil muss man sagen: Aber an dir liegt's, wenn es nicht anders wird. Wer soll's denn anders machen, wenn nicht du? Wenn alle sagen, an mir liegt's nicht...

Das ist banal, sagen Sie? Wir sind hier in Deutschland, hier ist das nicht banal. Man konnte als Einzelner ja nichts machen, sollte ich allein den Kopf hinhalten? - So weit ins Detail gingen die meisten gar nicht; die sagten schlicht, ich habe nur Befehle ausgeführt.

Mit andern Worten, für Zynismus und Schlendrian gibt es tausend Ausreden und keine Rechtfertigung.

5. 2. 2016 



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