Meine Blogs

Sonntag, 1. April 2018

Das Kinderhaus I: Die Außenansicht.

Das Kinderhaus I: Die Außenansicht 
 
Das Projekt Kinderhaus ist eine allgemeine Antwort auf eine allgemeine zivilisatorische Krisenerscheinung. Es stellt eine soziale Gemeinschaftseinrichtung neuen Typs dar, die eines Tages ebenso selbstverständlich sein wird wie heute die Kindertagesstätte.

Es soll sein:

*ein umfassendes Angebot im sozialen Feld;
*eine naheliegende Ressource bei der Regulierung familiärer Krisen, und
*eine ausgezeichnete Statt zur Bewältigung eines riskanten Lebensabschnitts.
 

Kinderheime gelten herkömmlich als sonderpädagogische Erziehungswerkstätten. Sie sollen Defizite ‚im’ Kind oder ‚in’ seiner Familie kompensieren und einen erwünschten Sollzustand (wieder-) herstellen. Sie bedürfen dazu eines besonders ‚geschützten’ Milieus. Heimerziehung gilt als Sozio- oder gar Psychotherapie.

In der Wirklichkeit hat sich auch das Institut Kinderheim längst zu einer regulären öffentlichen Dienstleistung entwickelt. Unbeschadet von offiziellen therapeutischen Diskursen ist die Population der deutschen Kinderheime heute nicht nennenswert ‚gestörter’ als der Durchschnitt der anderen Kinder. In Schlagworten wie ‚Normalisierung’ und ‚Öffnung nach außen’ wird dem zunehmend Rechnung getragen. Es reicht allerdings nicht, nur die Wörter zu ändern, die über die Heimerziehung gesagt werden. Irgendwann müssen auch die sachlichen Bedingungen geschaffen werden, die in den Heimen ‚normales Leben’ möglich machen. Die Heime müssen, nach innen wie nach außen, offen werden; denn ‚normal’ ist heute der Unterschied, nicht die Schablone.

Als naheliegende Ressource zur Entschärfung familiärer Krisen – niedrige Schwellen, kurze Wege – soll in den städtischen Wohngebieten Berlins ein Verbund von Kinderhäusern eingerichtet werden.

Die Kinderhäuser sollen ihre möglichen Nutzer nicht abschrecken, sondern einladen.

Sie sollen im ‚Feld’ ein Zeichen setzen..

Damit ist ihre innere Verfassung präjudiziert – negativ. Enge, verregelte und komplizierte Strukturen laden nicht ein, sondern schrecken ab, ihre Botschaft lautet: „Ihr könnt alle kommen – sofern ihr euch fügt.“ Und dann wird nur der kommen wollen, der es „nötig hat“ – weil ihm nichts anders übrigbleibt. So aber wären die Kinderhäuser auch nur Notbehelf und unvermeidliches Übel: eine sonderpädagogische Nische wie das herkömmliche Kinderheim; aber nicht der öffentliche Ort, der es als naheliegende Ressource sein müßte.

Öffnung nach außen setzt voraus: Offenheit im Innern. Die innere Struktur des Kinderhauses muß zugleich weit und fest genug sein, um die Zufuhr neuer Elemente von außen zu verkraften und als Bereicherung statt als Störung aufzunehmen. Sie muß ihrerseits informell, d.h. unmittelbarer Ausdruck des Lebensgefühls seiner Bewohner sein, um jederzeit improvisieren zu können. Sie muß flexibel sein, und das ist sie nur, wenn sie einfach ist. 

Es wird nicht ausbleiben, daß ein großes Haus, in dem viele Kinder ein geselliges Leben führen, zum Attraktionspol für die Kinder der ganzen Umgebung wird. In größeren und kleineren Trauben werden sie am Hauseingang herumlungern. Man wird sie nicht vertreiben können, also muß man sie hereinlassen. Die jugendlichen Bewohner des Kinderhauses sollen ihre Freunde mit nach oben bringen können, wie es in den städtischen Wohnquartieren eben üblich ist. Daß jeder Bewohner über sein eigenes Zimmer verfügen kann, ist eine Bedingung dafür. Eine hinreichende Ausstattung der Gemeinschaftsräume ist die andere.

Das Kinderhaus wird nicht nur Wohnstatt, sondern zugleich auch informeller Treffpunkt und Drehscheibe für die Kindergesellschaft des Viertels sein. Es setzt im Feld das Zeichen, daß die Flegeljahre keine „Lücke“ sind, sondern ein Lebensabschnitt so ehrenwert wie die andern.

Dabei wird der offene Bereich nicht räumlich oder personell vom inneren Wohnbereich getrennt; der Grad der Öffnung nach außen wird je nach dem Rhythmus des häuslichen Lebens neu auszumakeln sein. Das ist seinerseits nur möglich, wenn den Bewohnern im Innern ein Privatraum garantiert wird, in dem sie vor den Ansprüchen der Andern geschützt sind.

In dem Maß, wie das Kinderhaus für die Kinder und die Familien des Viertels zu einem vertrauten, weil gastlichen Ort wird, entwickelt es sich zu einem Stützpunkt für eine nicht-formalisierte Familien-Sozialarbeit, bzw. stadtteilbezogene Familienhilfe. Bedarf an helfender Beratung muß nun nicht von den Beratern selber ausgespäht und ‚erfaßt’ werden, sondern kann ‚sich zeigen’ im Verlauf einer alltäglichen Kontaktaufnahme im geselligen Verkehr, zu dem es einlädt.

Aus fachlichen Gründen ist es nicht ratsam, daß das Kinderhaus diese ins ‚Feld’ hinausgreifende Sozialarbeit in eigner Regie durchführt. Es wird sich beizeiten auf die Rolle einer Anlaufstelle zurückziehen. Direkt beim Träger werden Sozialarbeiter mit neuer, polyvalenter Qualifikation angestellt, die ohne Rcksicht auf die Belegungsrate des Kinderhauses in eigener Verantwortung diejenige Form von helfender Beratung entwickeln, die der jeweiligen Situation entspricht. Sie sollen zwischen dem Kinderhaus und seinem Umfeld vermitteln; aber keine „Zuarbeit“ leisten.

Solange noch ein oder zwei Kinderhäuser isoliert in der Landschaft stehen, werden sie wohl Neugier erregen; aber jenen Grad an Vertrautheit, dessen eine dauerhafte Ausstrahlung ins ‚Feld’ bedarf, werden sie erst als Repräsentanten eines neuen Typus von sozialer Gemeinschaftseinrichtung erreichen können. Es wird daher zügig der Aufbau eines Verbundsystems von etwa einem halben Dutzend Kinderhäusern im Berliner Raum betrieben. Während der Aufbauphase des Verbundes werden die einzelnen Kinderhäuser ihre Rolle in den Gemeinwesen erst noch unvollkommen spielen können. Pragmatische Zwischenlösungen werden sich nicht immer vermeiden lassen.

Zur Offenheit der Kinderhäuser gehört schließlich, daß Kinder hier nicht nur Kindern begegnen können, sondern auch Erwachsenen; und zwar, wie es ja normal wäre, auch solchen, die ihnen nicht mit beruflichen Absichten entgegentreten. Erwachsene, die gelegentlich ihre Zeit mit Kindern verbringen wollen, weil sie daran Gefallen haben, sind dort willkommen. Das trägt zur Entpädagogisierung der Alltagsatmosphäre bei, selbst wenn es anläßlich von an sich ‚zweckmäßigen’ Verrichtungen geschieht, wie z.B. der Schulaufga- benhilfe: Dabei haben sich pädagogische Amateure bislang stets besser bewährt als die Profis 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen