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Dienstag, 26. November 2013

"Sozialraumbudgets", oder Der Bock als Gärtner.


Das Konzept der feldorientierten Sozialarbeit ist nicht in den Räumen der Jungendämter entstanden, und in den Hochschulen schon gar nicht. Es ist vielmehr aus und in der praktischen Sozialarbeit selbst entstanden; im Lauf der nächsten Tage werde ich an dieser Stelle einige Zeugnisse davon veröffentlichen.

Es ist vor allen Dingen nicht entstanden, um den längst totgewussten Jugendämtern ein zweites Leben einzuhauchen, indem man ihnen den Geldhahn in die Hände drückt und sie nach Gutdünken entscheiden lässt, wer im sozialen Feld professionell tätig werden darf und wer nicht. Ganz im Gegenteil zielt die auf die Aktivierung sozialräumlicher Ressourcen orientierte Berufs- auffassung vom Helfenden Berater auf die radikale Entstaatlichung und Entbürokratisierung der Sozialarbeit. Dass das Konzept der "Sozialraumbudgets" so präsentiert wurde, als bezwecke es gerade die Umorientierung unseres Berufs weg vom hoheitlichen Fürsorger und hin zum  zivilen Vermittler und Dienstleister, ist wenn kein Zynismus, dann ein Kinderglaube.

Im Folgenden dokumentiere ich meinen Teil eines Briefwechsels, den ich seinerzeit in dieser Sache hatte.
JE

den 25. 6. 06

...Einstweilen verstehe ich es so: Für einen ‚Sozialraum’ wird für mehrere Rechnungsjahre ein Gesamtbudget erstellt. Aus diesem erhalten einige (?!) Träger ihrerseits ein Gesamtbudget zugewiesen, innerhalb dessen sie dann nach je intern ermitteltem Bedarf und je nach Situation ihre Mittel zwischen ‚spezifischen’ und ‚unspezifischen’ Ausgaben verteilen können (wobei wohl je zu begründende Nachschläge nicht ausgeschlossen sind)...

Ich versuche mir die Sache praktisch vorzustellen. Als ich damals mit meinem Kinderhaus anfing, gab es für ein sozialräumlich konzipiertes ‚Angebot’ keine Finanzierungsform. Ich habe mir schließlich eine Finanzierung per Tagessatz aufschwatzen lassen, 'damit es überhaupt möglich wird' - „Sie müssen auch Konzessionen machen, Herr Ebmeier“. Da sagte mir dann die Jugendamtsleiterin in Friedrichshain: Wir wollen Fremdunterbringung vermeiden, und darum wollen wir keine Fremdunterbringungseinrichtung in Friedrichshain. Folglich hat sie Friedrichshainer Kinder in Zehlendorfer Heime gesteckt, und ich bin pleite gegangen.

Käme ich heute in einen sozialräumlich budgetierten Bezirk, hieße es: Schön und gut, aber unser shop ist closed, sehn Sie zu, dass Sie bei einem bewährten Freien Träger unterkommen – und ich müsste mich tief bücken, um mich [...] zu lassen. Nota: Den damals benötigten zweiten Kredit hatte mir die Bank für Sozialwirtschaft schon bewilligt, und auch die Geschäftsleitung der Bürgschaftsbank der BfS. Fehlte nur noch das Plazet des ‚Vergabeausschusses’ – und dort saß die Fünferbande der bewährten Wohlfahrtskonzerne.

Für eine Praxis, die nicht im Detail, sondern paradigmatisch anders ist, kann es keinen ‚bewährten’ Träger geben. – Na schön, das ist ein Spezialproblem, wo man sich pragmatisch durchwurschteln könnte (wenn ein guter Wille da wäre!).  Aber das Problem ist grundsätzlich. Nach welchen Maßstäben entscheiden die Sozialarbeiter in den Ämtern, welche ihrer Kollegen auf der Straße sich ‚bewährt’ haben? Weils bisher auch schon so gut mit ihnen geklappt hat?  Das ist ein administrativer Gesichtspunkt, kein fachlicher (wie immer ein solcher definiert wäre). Das ist das kardinale Problem: Wie gelangt die öffentliche Verwaltung zu fachspezifischen Kriterien? Sie wissen es wie ich: Sie gelangt gar nicht dazu, weil das nicht ihres Amtes ist.


Nehmen wir mal an, (Sozial-) Pädagogik wäre Wissenschaft. Der öffentliche Mandatsträger verfährt als solcher nicht wissenschaftlich, sondern politisch. Die Verantwortung dafür hat er auf keinen Andern abzuschieben. Welcher wissenschaftlichen Lehrmeinung er folgt, muss er selbst entscheiden und hat er vor seinen Mandanten zu rechtfertigen. Aber sie selber sich aus den Rippen zu schneiden, das kann keiner von ihm verlangen, und in keinem andern Lebensbereich mutet er sich das zu. Er muss sich auf einen gegebenen ‚Stand der Wissenschaft’ verlassen können.

Nun ist Pädagogik keine Wissenschaft, sondern die Alltagskunst einer Zunft. Die spricht zwar viel und laut, aber nicht mit einer Zunge - wenigstens das nicht! Eine gemeinsame Stellungnahme kann ihr im besten Fall immer nur punktuell gelingen, jusqu’à nouvel ordre - bis bessere Einsichten statthaben. Damit die besseren Einsichten wenigstens eine Chance haben, gehört zu werden, muss ihr eine permanente kritische Instanz gewissermaßen institutionell eingebaut werden; und das ist die Öffentlichkeit.

Wissenschaft ist öffentliches Wissen (das ist eine erschöpfende Definition): jederzeit jedermann zugänglich und jedermann verantwortlich, der sich vor ihr verantwortet. Dahin wird es (ihrem Wesen nach) die Pädagogik [Ach Sie wissen schon: das erwerbsmäßige Rummachen mit Kindern] nie bringen. Aus dieser Not lässt sich keine Tugend machen. Man kann sie allenfalls lindern, indem man die Zunft nötigt, ihrerseits öffentlich zu werden...

Ahnen Sie´s? Ich komme wieder mit meinem alten Gedanken einer „Jugendhilfekammer“.   Die Untiefen der Sozialraum-Budgets resultieren daraus, dass die öffentliche Verwaltung nicht selber als Pädagoge oder Sozialarbeiter sprechen kann. Solange dieser Gegensatz nicht direkt angegangen und (prozessierend, versteht sich) ‚gelöst’ wird, wird sich der Streit um die Sozialraum-Budgets immer als Vehikel anbieten, um alle erdenklichen Nebenabsichten zu befördern und den pp. Umbau der Jugendhilfe dauerhaft zu lähmen. Dass Sie aber, wenn Sie dieses Thema jetzt auch noch aufs Tapet brächten, alles bisher Erreichte nachträglich gefährden könnten, ist mir klar. Nur - wenn nicht, könnte sich die Auseinandersetzung mit den Juristen zu einem Pingpongspiel verewigen, bei dem sich die Besitzstandwahrer in Ämtern und ‚Projekten’ ins Fäustchen lachen.

Sie schreiben zwar, dass es Sozialraumorientierung auch ohne Sozialraumbudgets geben könne. Aber Sozialraumorientierung als durchgängiger ‚Hintergrund’ für alle Jugendhilfe et al. kann es nicht geben ohne eine grundsätzlich andere Finanzierungsweise als die Fallprämien. Dass die Träger dafür Planungssicherheit brauchen, ist aber nur der abgeleitete Gesichtspunkt. Der primäre Gesichtspunkt ist der, dass unspezifische Arbeit finanzierbar werden muss. Sind Sie ganz sicher, dass das Problem beim Budget der Träger anzusiedeln ist? Entsteht so ein Junktim: Was ich an Aufwand für die Fälle einspare, kann ich für unspezifische Arbeit ausgeben -? Oder, wie Münder befürchten mag: Um unspezifische Arbeit bezahlen zu können, muss ich bei den Fällen sparen -? Ist es denn ganz unrealistisch, dass das, was als Anreiz gemeint ist, zu einer Daumenschraube wird? (Nota: In meiner Kinderhaus-Konzeption hatte ich Kinderhausbetrieb und ‚Feldarbeit’ getrennt veranschlagt, aber zu fixen Kosten. Der „Vorhalt“ von Freien Plätzen musste durch einen Aufschlag auf den ‚spezifischen’ Tagessatz erbracht werden.) 

Foto: Luise, pixelio.de

Ich verstehe schon, dass man nicht die Fälle bei den einen und das Feld bei den andern ansiedeln kann, weil sonst diese (wenn sie gut sind) jenen das Wasser abgraben (selbst wenn die gut sind). Aber was ist gewonnen, wenn Sie die Konkurrenz zwischen den Trägern in die Träger verlagern? Ich fürchte, dass sachfremde Erwägungen unter diesen Umständen sogar mehr ins Gewicht fallen als unter jenen. Ich verstehe auch, dass man die vorhandenen Träger eher dafür gewinnen kann, in der neuen Ausrichtung mitzuarbeiten, wenn man ihnen in Aussicht stellt, schlimmstenfalls selber zu entscheiden, wer entlassen und wer versetzt wird, als wenn man ihnen in Aussicht stellt, schlimmstenfalls pleite zu gehen. Aber das sind lauter pragmatische Gesichtspunkte, und ob sie zwingend sind, ist nicht sicher. Dass sich ein Rechtsgelehrter schwertut, dafür Rechtsgrundsätze aufs Spiel zu setzen, ist mir nicht völlig unverständlich.

Zum Schluss noch dies: Für die Finanzierbarkeit meines Kinderhauses wäre ein Sozialraumbudget, soweit ich sehe, ganz ohne Folgen geblieben. Auch dann würden die Kosten erst ab dem Moment erstattet, wo im Einzelfall die ‚Unterbringung’ stattgefunden hat. Das Kinderhaus wäre auch ein „Angebot“, das „vorgehalten“ wird. Aber ein unspezifisches. Darum erlaubt es, wenn’s soweit ist, eine maßgeschneiderte Lösung für eine individuelle Situation. Das ist im Quer- und Längsschnitt wohlfeiler als die Konkurrenz der vorgehaltenen spezifischen Angebote. Das Problem ist nicht einfach, dass der eine Träger auf die ‚harten’, der Andere auf die ‚weichen’ Leistungen spezialisiert ist. Wenn ein Träger beide Leistungen erbringt, verschiebt es nur die Konkurrenz zwischen den Finanzierungsformen von außen nach innen. Wird sie dadurch rationeller? Kann ich mir nur schlecht vorstellen.

Harald Schottner, pixelio.de

Das Problem ist, dass es für beide Leistungen verschiedene Finanzierungsformen gibt und geben muss. Darin drückt sich aus, dass die Jugendhilfe dem allgemeinen Gesichtspunkt des Gemeinwesens und dem individuellen Interesse des Leistungsberechtigten gleichzeitig gerecht zu werden hat. Ich glaube, Sie stellen sich eine Falle, wenn Sie ‚unspezifische’ Leistungen nur unter der Rubrik ‚sparsamer Vorlauf zur HzE’ diskutieren wollen. Unspezifische Sozialarbeit ist eine Infrastrukturinvestition – und als solche hilft sie (hoffentlich), die Flut der HzE-Ansprüche einzudämmen; so wie öffentliche Badeanstalten ein Beitrag zur Volksgesundheit und eine Entlastung der Krankenkassen sind. 

Badeanstalten werden aber nicht aus dem Gesundheitsetat finanziert. Sollten sie nicht besser?  Stattdessen werden sie privatisiert. Wer spart da wo? Ein weites Feld, jaja. Ich verstehe schon, dass Sie den Griff in die HzE-Budgets als einen momentan praktikablen Weg verstehen, um überhaupt einmal eine Bresche zu schlagen in die Fallprämienlogik. Ich verstehe auch, dass man nicht alles auf einmal erreichen kann und den Weg nehmen muss, der sich bietet. Aber aus meiner Eselei, mein Kinderhaus über den Tagessatz finanzieren zu wollen, habe ich gelernt: Kompromisse, die zu Lasten der Sachlogik gehen, können einen Kopf und Kragen kosten. Anders gesagt, mit dem Kopf muss man durch die Wand – womit denn sonst?

CFalk, pixelio.de

Ich neige weiterhin der Ansicht zu, dass das Problem auf der höheren Ebene der Gebietskörperschaften selbst (Jugendhilfekammer oder so was) und nicht erst auf der untersten Ebene der Träger angegangen werden muss. Ja, das ist nicht nur ‚grundsätzlich’, sondern abstrakt. Was es konkret bedeuten würde, weiß ich nicht. Ich will mit all dem auch nur eins gesagt haben: Die Sozialraumbudgets sind wirklich problematisch, nicht nur bei bösem Willen.

...

Mit besten Grüßen,
Ihr J.E.